Freiwilligenagentur für Königswinter und Umgebung
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Tapetenwechsel – Kindern eine Auszeit ermöglichen

Seit Beginn der Pandemie leiden Kinder an Vereinsamung, manche werden in der Schule abgehängt, weil sie den Lernstoff im Distanzunterricht nicht bewältigen. Auch können sich nicht nach Lust und Laune mit ihren Freunden draußen bewegen. Der Austausch mit Gleichaltrigen findet fast nur noch digital statt. Trauer und Freude haben die Kinder im zurückliegenden Jahr online geteilt. Unterricht, Hausaufgabenunterstützung und Freizeit fanden fast ausschließlich in virtueller Umgebung statt. Nicht alle Familien haben ausreichend Wohnraum, um Home-Office und Home-Schooling in getrennten Zimmern zu ermöglichen. Kinder aus Familien, die in städtischen Asylunterkünften wohnen, mussten besonders viele Einschränkungen hinnehmen.

Lockdown und die Folgen für die Sprach- und Persönlichkeitsentwicklung von Kindern mit Migrations- und Fluchtgeschichte

In den vergangenen Monaten und Wochen mussten einige Kinder zusätzlich zu den Lock-down-Regeln auch noch mit Quarantänesituationen klarkommen. Das hat ihre seelische Gesundheit arg strapaziert und auch Einfluss auf die Konzentrationsfähigkeit sowie die schulischen Leistungen gehabt. Lehrer, Hausaufgabenhelfer, Sprach- und Lernpaten schlugen Alarm. Besonders fielen extreme Lernrückschritte bei Kindern auf, deren Muttersprache nicht Deutsch ist.

Angesichts dieser Lage stellte das Forum Ehrenamt spontan den „Tapetenwechsel“ auf die Beine: Das Projekt verknüpft mehrere Maßnahmen mit einander: Lernortwechsel, feste Lernpaten und Bewegungsangebote und will so die Kinder motivieren, stärken und fördern. Denn die Erkenntnis vieler Sprachwissenschaftler und Kinderpsychologen ist, dass für die Entwicklung der Sprache und der Persönlichkeit von Mädchen und Jungen die Ansprache durch das soziale Umfeld wichtig ist. Wenn der Kontakt zu Freunden, Lehrern, Hausaufgabenhelfern etc. fehlt, dann entsteht eine große Kommunikationslücke und das Einüben von Sprachstrukturen und Aussprache fällt weg oder kommt sehr zu kurz. Wenn ein Kind sich nicht ausdrücken kann, ist die Teilhabe in der Gesellschaft schwierig. Sprache ist die Brücke zu Integration und Bildung. Durch den „Tapetenwechsel“ erweitern Kinder ihren Wortschatz, fühlen sich wahrgenommen, erlangen mit jeder Begegnung und jedem Austausch mehr Sicherheit und Selbstvertrauen. Sprache ist ein wichtiger Baustein in ihrer Persönlichkeitsentwicklung und trägt zur Integration bei.


Tapetenwechsel konkret: Thomas und Maria

Spendenradübergabe durch unseren Fahrradcoach Klaus

Thomas W. ist 13 Jahre alt und besucht die Realschule. Seine Eltern sind nach Deutschland geflüchtet und lebten seit 2015 in verschiedenen städtischen Unterkünften.

Thomas ist ein lebendiges, aufgewecktes Kind und spricht sehr gut Deutsch. Er liebt Fahrradfahren und spielt gerne Versteck und Fangen mit seinen Schulfreunden. All das hörte im April 2020 abrupt auf, als die Sammelunterkunft, in der seine Familie lebt, unter Quarantäne gestellt wurde. Seine Eltern legen viel Wert auf Bildung und wünschen ihrem Sohn eine glückliche Kindheit und eine erfolgreiche Zukunft. In den vergangenen Monaten musste Thomas aufgrund verschiedener Covid-19-Ausbrüche in der Sammelunterkunft, darunter eine Infektion seiner gesamten Familie mit dem Corona-Virus, oft über zwei bis drei Wochen mit seinen Eltern in zwei Zimmern verbringen. Er war zudem oft alleine, beschäftigte sich mit dem Handy (wie viele Teenager) und später mit einem Laptop. Sein Vater spielte Schach mit ihm und seine Mutter bemühte sich um Dialog und Austausch. Dennoch zog sich Thomas immer mehr zurück und wirkte traurig.

Als Thomas wieder am Online-Unterricht teilnehmen konnte, wurden die großen Lernlücken sichtbar. Dazu machten ihn die immer lauernde Gefahr im Heim, wieder in Quarantäne zu geraten, und das instabile WLAN nervös und unsicher.

Tapetenwechsel zum richtigen Zeitpunkt

In der pensionierten Lehrerin Maria fand Thomas eine zugewandte erfahrene Pädagogin, die ihm mit viel Empathie und Engagement ein- bis zweimal wöchentlich in Haus Heisterbach eine Auszeit ermöglicht. Maria, eine passionierte Radfahrerin, motivierte den Jungen, die Strecke zum neuen Lernort mit dem Fahrrad zurückzulegen. Sie fuhr die Strecke mehrfach mit ihm gemeinsam ab, bis er sich sicher fühlte. Die Fahrradschule des Forums Ehrenamt tauschte das alte Rad gegen ein sehr gutes Second-Hand-Mountainbike aus, und schon konnte es mit dem Lernen losgehen. Thomas ist jedes Mal stolz und fröhlich, wenn er am Haus Heisterbach ankommt. Die Bewegung tut ihm gut, und er setzt sich auch gegen die Mutter durch, wenn sie möchte, dass er bei leichtem Regen mit dem Bus fährt. Auch Maria radelt von Stieldorf aus nach Heisterbach. Das Konzentrationsvermögen des Jungen hat sich verbessert, und er versteht sich sehr gut mit seiner Lernpatin.

Maria steht auch im Austausch mit dem Klassenlehrer, den Eltern und der Koordinatorin Nisa Punnamparambil-Wolf. Die Lernpatin hat noch viele Ideen für gemeinsame Unternehmungen mit ihrem Schützling – mit und ohne Fahrrad. Priorität hat jetzt, Lerndefizite aufzuholen, den Wortschatz von Thomas in Deutsch und Englisch zu erweitern und ihm zu helfen, die Freude am Leben sowie am Lernen wiederzuerlangen. „Der Junge hat Potential“, findet Maria. „Man muss ihm ein wenig mit Lerntechniken auf die Sprünge helfen und ihn zum Vokabellernen anspornen, aber er kann es mit Unterstützung bzw. Begleitung und Fleiß schaffen! Wichtig ist für mich auch, dass er weiterhin Spaß am Fahrradfahren hat. Vielleicht können wir ja im Sommer gemeinsam eine Tour mit dem „Drahtesel“ machen!“

 

 

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