Interview mit Burkard Severin aus Königswinter-Eisbach, Jahrgang 1959. Herr Severin ist studierter Theologe, Soziologe und Psychologe und leitet das Institut für Systemische Organisationsentwicklung. Ehrenamtlich ist er in seiner Heimatgemeinde, im Sendungsraum Königswinter und in einem Dialogprojekt in Bonn engagiert.

Herr Severin, was möchten Sie unbedingt gerne über sich selber erzählen bzw. wie könnte dementsprechend meine erste Frage an Sie lauten?
Diese erste Frage wäre für mich, warum ich denke, dass bürgerschaftliches Engagement wichtig ist. Wenn ich das richtig sehe, haben wir in unserer Gesellschaft drei Formen des „Engagements“. Da gibt es zum einen das Engagement der Dienstleister in der Wirtschaft, wobei nicht jeder und jede diese Dienstleistungen bezahlen kann oder will. Zum zweiten den Staat, der verwaltet, ordnet und bestimmte Aufgaben übernimmt, aber vieles auch nicht macht. Genau deshalb glaube ich, dass es hilfreich ist, dass es diese dritte Form des bürgerschaftlichen Engagements gibt, wodurch vieles passiert, was sonst nicht passieren würde.

Ganz kurz da zwischen gefragt: Könnte man den Verdacht haben, dass sich der Staat auf ein gewisses Maß an ehrenamtlichem Engagement verlässt, weil er bestimmte Aufgaben nicht erfüllen kann oder will?
Das ist so. Wir haben ja hier in Eisbach verschiedene Projekte alleine durchgeführt. Man muss das realistisch sehen, sollte man deshalb, weil der Staat aus welchen Gründen auch immer dafür kein Geld ausgeben möchte, solche Dinge nicht in Angriff nehmen? Und es macht einfach total viel Spaß, zusammen mit anderen eine Sache zu realisieren, ohne dass finanzielle Interessen im Spiel sind.

Das nimmt meine nächste Frage teilweise vorweg, aber gehen wir noch mal an den Anfang: worin bestand Ihre ursprüngliche Motivation, bzw. gab es eine entscheidende Erfahrung, die Sie dahin führte, sich ehrenamtlich zu engagieren?
Also bei mir hat das schon in meiner Herkunftsfamilie angefangen, weil ich einen Vater hatte, der sich als Hauptschulrektor über seine Aufgabe als Lehrer hinaus sehr viel engagierte, im Sportverein, in der Kirchengemeinde etc. Insofern war eigentlich fraglos, dass wir Kinder in seine Fußstapfen treten. Das hat bei mir angefangen mit der Jugendarbeit in meinem Heimatdorf, mit 18 Jahren habe ich z.B. für 6000 Leute schon ein Dekanatszeltlager organisiert. Sowas hat mir aber immer Spaß gemacht und das hat sich eigentlich über all die Jahre so erhalten.

Wie sieht Ihre ehrenamtliche Tätigkeit denn heute konkret aus?
Heute sind es drei ehrenamtliche Felder, in denen ich unterwegs bin: zum einen die Stiftung Eisbacher Marienkapelle, unsere Dorfstiftung, die sich zur Aufgabe gemacht hat, unsere denkmalgeschützte Kapelle zu unterhalten und dieses Gebäude mit Leben zu erfüllen. Ein weitere Stiftungszweck ist, für die Entwicklung des Dorfes Sorge zu tragen. Darüber hinaus bin ich ehrenamtliches Mitglied im Pfarrgemeinderat der Pfarreiengemeinschaft „Kirche am Ölberg“. Ein weiteres Projekt ist die Kirche St. Helena in Bonn aus den Sechziger Jahre, die nicht mehr für die Gemeinde genutzt wird. Die Gemeinde hat dort 2004 einen Verein gegründet, um die Kirche als „Dialograum“ für Begegnungen in Form von Ausstellungen, Konzerten und ähnlichem zu nutzen. Ich bin dort ehrenamtlich als „Programmdirektor“ engagiert – ein Projekt, in dem im Jahresschnitt jeden zweiten Tag eine Veranstaltung stattfindet.

Haben Sie ein besonderes (schönes oder schwieriges) Erlebnis in Ihrer Freiwilligenarbeit in Erinnerung?
Was sicher das Highlight war, dass wir unser Dorf selber verkehrsberuhigt haben. Aufgrund eines schweren Unfalls und einiger Bürgereingaben sah die Stadt damals in der Notwendigkeit, weitere verkehrsberuhigende Maßnahmen bei uns durchzuführen. Nach Vorstellung unsere eigenen Vorschläge war die Stadt damals bereit, dafür die Planungen zu übernehmen, aber nicht die Kosten. Wir haben das über die Stiftung finanziert und an 12 Bauwochenenden die Baumaßnahmen selber ausgeführt. Und das Schönste daran war, dass auf unserem Stiftungskonto ein Betrag von 18 Euro eingegangen war, womit ein Mädchen hier aus dem Dorf ihr Taschengeld gespendet hatte.

Toll. So entsteht dann Solidarität oder Identität mit einem Ort.
Genau. Wir haben bis heute über 130.000 Euro in das Dorf investiert, die alle über Spenden zusammenkamen. Im Moment möchten wir eine spätgotische Pieta, die man uns zum 150jährigen Kapellenjubiläum 2020 vermacht hat, restaurieren lassen. Nach einem Aufruf hatte ich das Geld bis Weihnachten zusammen.

Gibt es auch Leute außerhalb von Eisbach, die etwas spenden?
Ja, es gibt Menschen, mit dem Dorf verbunden sind, das hängt aber auch damit zusammen, dass wir normalerweise alle 4-6 Wochen die Kunst-Kultur-Kapelle Eisbach durchführen, also ein kulturelles Event in der Kapelle. Da wir dabei auch über unsere Projekte berichten, kommt dann da auch einiges zusammen.

Gäbe es denn etwas, was helfen könnte, Ihr Engagement, egal welches, noch besser auszuüben oder anders gefragt, wenn sie einen Wunsch frei hätten für Ihr ehrenamtliches Engagement, wie würden Sie den formulieren?
Also Königswinter ist ja eine riesige Flächenkommune mit über 80 Ortsteilen und hier würde ich mir wünschen, dass die einzelnen Ortschaften ihr Eigenleben stärker entwickeln würden. In einigen Ortschaften passiert das sehr gut, in anderen gar nicht. Ich glaube, es braucht in einer Welt, die immer internationaler, globalisierter wird und in der wir Menschenkinder in ganz verschiedenen „Welten“ unterwegs sind so etwas wie „Beheimatung vor Ort“. Das ist es wichtig, ein Netz von Menschen zu haben, von denen man weiß, dass sie einen kennen und im Zweifelsfalle unterstützen. So haben wir hier in Eisbach unseren alten Menschen das Versprechen gegeben, dass jeder hier – soweit wir es ermöglichen können – bis zum Tod leben kann. Eigentlich müssten wir so etwas wie einen „Altenhof“ hier schaffen, so dass die Leute auch nicht ins Altersheim müssen. Dafür sind wir im Moment auf der Suche nach einer Immobilie und nach Fördermitteln.

Was könnte konkreter noch dazu beitragen, dass sich noch mehr Leute ehrenamtlich engagieren?
Ich kann vielleicht darüber berichten, was bei uns in Eisbach dazu beigetragen hat. Nachweislich hat man hier schon vor 160 Jahren zusammengehalten, gerade in Notzeiten, vielleicht auch weil man sich hier immer etwas „ab vom Schuss“ fühlte. Ende des 19. Jahrhunderts hat man hier in Eisbach eine eigene Frischwasserversorgung gebaut und bewirtschaftet, selber für Elektrizität gesorgt, man hat die Kapelle selbst gebaut usw. Die Menschen haben gemerkt, dass tut ihnen gut, sie schaffen da einen Mehrwert, den jeder für sich alleine nicht schaffen kann.

Gibt es Ihre Einschätzung nach noch Gruppen, Vereine, Projekte, die unterstützenswert wären?
Das sehe ich zwei Richtungen: Zum einen werden wir ja in den nächsten Jahrzehnten einen Überalterungsprozess in unserer Gesellschaft miterleben und da wird die Frage sein, was können wir im ambulanten Bereich selber tun? Die Wenigsten wollen ja später ins Heim und da muss man sich überlegen, wie Leute auch zu Hause in Wohnverbänden, die keine Heime sind, weiterleben können. Die andere Richtung betrifft Kinder und Jugendliche, die ja viel in virtuellen Welten unterwegs sind, auch um Bedürfnisse nach Kontakten zu befriedigen. Ich glaube aber, dass diese virtuelle Welt nur bedingt Ersatz sein kann für reale Beziehungen. Wie kann es also gelingen, Kinder und Jugendliche in das einzubinden, was an realem Leben vor Ort passiert, wie können die da reinwachsen? Ein spannendes Beispiel dafür war eine junge Frau hier aus dem Dorf, die mich bat, ihr für eine Studienplatzbewerbung eine Referenz der Stiftung über ihr soziales Engagement zu schreiben. Nachdem sie mir aufgelistet hatte, was sie so alles im Dorf gemacht hat, habe ich ihre Referenz geschrieben und merkte an der Rückmeldung, wie kostbar dieses Engagement für sie jetzt geworden ist.

Das war für Sie also keine lästige Pflicht, sondern etwas, was Sie gerne getan hat – mir geht es jetzt mit unserem Gespräch ganz genauso, Herr Severin, vielen Dank dafür.

Das Interview führte Martin Bubner.